Ein Besuch, der berührte: Die Nachkommen einer Holocaustüberlebenden, besuchten den Geburtsort ihrer Mutter, Oma, Uroma.
Doris Henriette Mathias überlebte den Holocaust, weil ihre Eltern sie 1939 mit einem Kindertransport nach England schickten. Vier Kinder, 24 Enkel, 70 Urenkel und bereits vier Ururenkel gehören inzwischen zur Familie der fast 90-Jährigen, die in Israel lebt. Über das Projekt „80 Jahre Kindertransporte“ des Evangelischen Forum Schwalm-Eder, an dem sich mehrere Schulen beteiligten kam jetzt der Kontakt mit ihren Nachfahren zustande. Sogar ein Besuch erfolgte kürzlich.
Mit 9 Jahren nach England geschickt
Eine neunte Klasse des Schwalmgymnasiums beleuchtete speziell das Leben von Doris Henriette Mathias (verheiratete Guttentag) aus Treysa, die als Neunjährige mit einem Kindertransport zu ihrer Tante nach England geschickt wurde und so dem sicheren Tod in den Vernichtungslagern entkam. Während der Recherche über die Geschichte des Mädchens aus Treysa, nahmen die Schüler unter anderem Kontakt mit den Nachfahren von Doris Guttentag auf. Es entwickelte sich ein reger Austausch und so reifte die Idee, die Orte von Doris’ Kindheit zu besuchen. Im Schwalmgymnasium in Treysa kam es kürzlich zu einem kleinen Familientreffen, denn die vier Kinder waren mit zwei Dutzend weiteren Familienangehörigen aus Israel, England und den USA angereist.
Nach der Begrüßung durch Schulleiter Frank Siesenop, stellten die Schüler Auszüge aus ihrem Projekt vor, unter anderem ein Tagebuch, das sie anstelle der jungen Doris geschrieben hatten. Vorhandene Fakten wurden dabei durch Fiktionen ergänzt, wie sich die Schüler das damalige Leben aus der Sicht einer Neunjährigen vorstellten. „Danke für euer Engagement für meine Großmutter“, honorierte Chaim Guttentag die Arbeit der Jugendlichen.
Tour durch Treysa
Nach dem Treffen begleiteten Pfarrer Dierk Glitzenhirn und Jürgen Junker vom Evangelischen Forum Schwalm-Eder die Besucher zum Jüdischen Friedhof in Treysa. Dort sprach Shlomo Meir Guttentag ein Gebet am Grab von Levi Katz, einem Bekannten seiner Urgroßeltern. Ein Empfang im Rathaus mit Grußworten von Bürgermeister Stefan Pinhard und Dekan Christian Wachter schloss sich an. Weitere Stationen in Treysa waren die historische Mikwe (jüdisches Ritualbad) in der Steingasse, der Neue Weg, wo einst die Synagoge stand und natürlich das Wohnhaus in der Braugasse, in dem Doris ihre Kindheit verbracht hatte. Dort waren erst kürzlich fünf Stolpersteine verlegt worden, die an sie und an ihre Eltern und Großeltern erinnern.
Der Großvater starb 1941 gedemütigt in Treysa, die Eltern wurden am 3. Juni 1942 in Sobibor ermordet, die Großmutter am 16. Dezember 1942 in Theresienstadt. Eine gleichaltrige Freundin von Doris, die aus dem Nachbarhaus stammt, erzählte den Besuchern detailliert von der Kindheit, deren Unbeschwertheit mit dem Novemberpogrom 1938 ein jähes Ende fand. Die Gäste waren dankbar für die Informationen, denn mit ihren eigenen Kindern hatte Doris nicht über die damalige Zeit gesprochen, erst den Enkeln gab sie einen kleinen Einblick.